13. Lehrter Straße 48B, Zeugnis der Weinstraße

Historischer Spaziergang durch die Lehrter Straße

Postkarte „Die Lehrterstraße die Weinstraße Berlins“, Quelle: Privatsammlung

Vom Neubaublock wechseln wir wieder auf die westliche Straßenseite und gehen zum Baudenkmal Lehrter Straße 48B, und besichtigen in den Höfen des Hauses 2 Wandbemalungen. In Berlin war die Lehrter Straße auch als Berliner Weinstraße bekannt. Klara Franke erzählte: „Sie müssen sich vorstellen, die ganze Lehrter Straße – die Vorderhäuser wurden sozusagen von den Eltern der Offiziere meistenteils aufgekauft oder ausgebaut, denn die (…) hatten meistenteils auch – ähm alle Weinberge (…) die ganze Straße war Weinstraße.“ Mit dazu gehörten die in den 1890er Jahren errichteten Häuser Lehrter Straße 36, 37, 40, 40 A, 48 A-C, und 49, die der Maurermeister und Architekt August Spahr errichtet hat. Die Karte zur Weinstraße aus einer Privatsammlung („Volker, ihr Schnäppchenjäger“) stellt dies dar.

Wandbild Weinkeller nach Restaurierung 1994, Quelle: B-Laden Archiv

Das Haus Lehrter Straße 48b wurde 1890-1894 erbaut. Umbauten wurden 1954 und 1987 durchgeführt. Die lange dem Verfall ausgelieferte Straßenfassade im Stil der Neorenaissance konnte bei der Restaurierung 1992-98 nur teilweise wieder hergestellt werden. Der Eintrag in der Denkmaldatenbank Berlin beschreibt das Gebäude:

Die unkonventionelle asymmetrische Gliederung mit Balkon-, Loggia- und Erkerpartien spiegelt nicht nur das dahinter liegende Raumgefüge wider, sondern verkörpert auch eine Abkehr vom üblichen dreiteiligen Aufbau aus Sockel, Mittelbereich und Attikageschoss. Die Wohnanlage besteht aus dem Vorderhaus und zwei Quergebäuden, besitzt aber keine Seitenflügel. Die Lebensbedingungen waren weitaus besser als in Moabiter Arbeitermietshäusern, denn die Wohnungen waren mit Innentoiletten ausgestattet und ließen sich querlüften. Die Absicht des Architekten, ein vornehmes Wohnhaus – vermutlich für Offiziere der benachbarten Kasernen – zu schaffen, wird deutlich, wenn man sich die Hofseiten ansieht, die mit Stuckdekor, Quaderung und plastischem Schmuck gestaltet sind. Im über sechs Meter hohen Kellergewölbe befand sich seit 1905 ein Weinkeller der bekannten Weinhandlung J. P. Trarbach. Im ersten Hof erinnert an diese Nutzung ein 1994 von F. Müller-Kern geschaffenes illusionistisches Giebelbild, das ein bauzeitliches Wandbild mit opulenter Rahmung ersetzt.

Die Weinkellergeschichte
Klara Franke gab in ihren Erzählungen gerne zur Lehrter 48b die Weinkellergeschichte wieder, die sich zum Kriegsende zugetragen hat:

Die Weinkellergeschichte
In der Lehrter Straße 48b befinden sich große 2-3 Etagen tiefe Weinkeller. Diese werden gestürmt, „bevor die Russen kommen“. „Die Gören sind da in den letzten Tagen des Krieges einfach runter.“ In einem Laden der Lehrter Straße 55 tauchen ein paar Monate danach zwei elegante Herren auf, die sich nach den Kellereien erkundigen. Klara denkt sich, das können nur Hagemeister, Franke oder Trabach sein, die Besitzer der Kellereien. Sie beglückwünschte sie zu der Idee, den „Hennesey“ einzumauern, damit er nicht verloren ginge, doch hätte anscheinend jemand davon gewusst. Nun sei nichts mehr von dem Wein da. Auf ihre Frage, ob sie denn viel Geld verloren hätten, antworten die Herren betrübt‚ es wären an die tausend Liter Wein, im Werte mehrerer Millionen Mark, in den Kellereien gewesen. Klara tröstet die Herren, sie hätten den Russen und der Berliner Bevölkerung mit dem Wein eine riesengroße Freude bereitet. Und das hätte sich wie folgt zugetragen: Ihr eigener Ehemann Karlchen muß mit zwei russischen Offizieren in den Weinkeller, um ein großes Faß zu öffnen. Sie füllen sich ca. 10 Flaschen des guten Weines ab. Da das Faß nicht mehr zu verschließen geht, läuft der ganze Keller voller Wein. Die Berliner Bevölkerung hat sich dann, erfinderisch wie sie ist, Eimer besorgt und den Wein aufgeschöpft, durchgeseiht, in Flaschen abgefüllt und dann auf dem Schwarzmarkt verkauft. So haben sie, die feinen Herren ohne ihr Wissen, in der Not ein gutes Werk getan.

 

Quellen:
Weichenstellungen: Geschichte und Zukunft der Lehrter Straße. Herausgeber: S.T.E.R.N. Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung Berlin mbH, Berlin, 1991, Transit Verlag, ISBN: 978-3-88747-068-5.
Denkmale in Berlin: Bezirk Mitte: Ortsteile Moabit, Hansaviertel und Tiergarten. Tomisch, Jürgen, Landesdenkmalamt Berlin (Hrsg.), Petersberg, 2005, Verlag M. Imhof, ISBN: 978-3-86568-035-8
Landesdenkmalamt, Denkmaldatenbank Mietshaus Lehrter Straße 48B
Brauchen wir soziale Vorbilder? Spurensuche im Kiez – Klara Franke und die Lehrter Straße –. Manuela Klemp, Magisterarbeit, TU Berlin – FB 02 Erziehungswissenschaften, SoSe 2000, B-Laden Archiv
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