2. Beamtenhäuser und Beamtenfriedhof des Zellengefängnisses

Historischer Spaziergang durch die Lehrter Straße

Wir haben den Geschichtspark jetzt über den Ausgang zur Minna-Cauer-Straße, der Einfahrt in den Tiergartentunnel, verlassen und sind außen an der Friedhofsmauer entlang gegangen. Hier stand die sogenannte Nebenanstalt, zuerst Schirrkammergebäude, dann Beamtenhaus, später Irrenabteilung, danach Gestapohaft. Dort saß u.a. Ernst Busch, bis das Gebäude einen Bombentreffer abbekam, bei dem er einen Schädelbruch erlitt. Seine Strafe saß er dann in Brandenburg ab. Eine abknickende Mauer ist erhalten, die früher den Garten- und Spazierhof der Irrenabteilung abgrenzte, wie auf einem Plan von 1901 bezeichnet. Durch den Mauerdurchbruch kommen wir in ein weitgehend grünes Gelände und stehen vor dem ältesten Wohnhaus der Lehrter Straße, der Nr. 5 d.

Beamten-Wohnhäuser

Dies Haus gehörte als eines der rund um das Gefängnis angeordneten Beamtenhäuser zum ursprünglichen Ensemble des Zellengefängnisses und ist noch fast original erhalten. Das kleine Nebengebäude war ein Waschhaus. Auch das Hofpflaster besteht teilweise noch aus den originalen Granitsteinen. Die beiden anderen noch erhaltenen Beamten-Wohnhäuser wurden erst später gebaut: die Nr. 5 c 1888 und die Nr. 5 b 1897.
Laut Berliner Adressbuch aus dem Jahr 1881 wohnten in der Lehrter 1-5 insgesamt 29 Gefängniswär­ter zum Teil mit Familien und 2 Prediger. Heute wirken die drei Häuser mit den Gärten und der Kleingartenanlage seltsam idyllisch – so nah am Hauptbahnhof. Das ist ganz anders als vor 150 Jahren. So heißt es in der Berliner Denkmalliste:

„Die verbliebenen Gebäude und Mauern vermitteln noch einen Eindruck von der Größe und der bedrückenden Anstaltsarchitektur. Die Gebäude wirken wie Türme einer festungsähnlichen Bewehrung, denn sie wenden sich mit geschlossenen, fensterlosen Wandflächen dem früheren Gefängnishof zu. Zusammen mit der mächtigen Mauer sollte von ihnen eine Furcht einflößende, abschreckende Wirkung ausgehen.“

Das Gefängnis war zu Beginn eine Welt für sich. Es lag ja weit außerhalb der Stadt – jwd, janz weit draußen. Im 19. Jhdt. mussten Arbeitgeber in Moabit dafür sorgen, dass ihre Beamten und Arbeiter auch Platz zum Wohnen finden konnten, denn einen ausgebauten Nahverkehr gab es noch nicht. So haben auch die Eisenbahngesellschafte und das Krankenhaus Moabit Wohnhäuser auf ihrem Gelände gebaut.

Karl Radek und sein Moabiter Salon

Bevor wir gleich rund um den Beamtenfriedhof des Zellengefängnisses laufen, möchte ich noch eine Geschichte aus der Novemberrevolution 1918/19 erzählen.
Karl Radek, Mitbegründer der KPD und enger Mitstreiter Lenins, wurde wegen Teilnahme an den Januar-Aufständen mit einer beispiellosen Menschenjagd  gesucht. Eine „Vereinigung zur Bekämpfung des Bolschewismus“ hatte ein Kopfgeld von 10.000 Reichsmark ausgesetzt. Soldaten der Reinhard-Brigade nahmen ihn am 12. Februar 1919 in der Paulsborner Straße 93 fest. Im Moabiter Zellengefängnis wurde er zeitweise an die Wand seiner Zelle gekettet und Tag und Nacht extra bewacht. Er fürchtete um sein Leben – verständlich nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sowie vieler Aufständischer, die sich bereits ergeben hatten. Zum Schutz ernannte ihn Lenin am 5. März zum Botschafter der Ukraine. Danach wurden die Haftbedingungen besser. Am 13. Juni entging er nur knapp einem Mordanschlag, als auf ihn beim Spaziergang im Gefängnishof geschossen wurde. Die Ermittlungen jedoch mussten nach einem halben Jahr schließlich eingestellt werden, ihm war weder Spionage noch Passvergehen, weder Geheimbündelei noch Urkundenfälschung nachzuweisen. Als er am 16. August aus dem Gefängnis entlassen wurde, kam er jedoch nicht frei, sondern wurde in einer heute nicht mehr lokalisierbaren Wohnung in einem der Beamtenhäuser unter Hausarrest gestellt. Dort eröffnete er einen politischen Salon bis zur entgültigen Freilassung am 17. November. Dort residierte er wie ein Botschafter und erhielt Besuch von zahlreichen bekannten Persönlichkeiten, von Politikern, Wirtschaftsführern, Diplomaten, Journalisten und Offizieren. Auch Walther Rathenau, Chef der AEG und späterer Außenminister, war einer seiner Gesprächspartner.

Beamtenfriedhof

Es war das Privileg eines preußischen Gefängnisbeamten und seiner Familienmitglieder auf einem Beamtenfried­hof bestattet zu werden. Auch Plötzensee und Tegel hatten welche. Die sind aber längst eingeebnet und aus dem Stadtbild verschwunden.
Der einfache Gitterzaun ist noch im Original erhalten, viele Grabsteine und Einfriedungen auch, wenn auch verfallen und teilweise überwuchert. Der Friedhof steht wie das ganze Gelände unter Denkmalschutz. Eine kleine Fläche ist mit einem niedrigeren Gitter abgegrenzt. Sie war den Direktoren vorbehalten. Ursprünglich bestand der Anstaltsfriedhof aus dem erhaltenen Beamtenfriedhof und dem etwa gleich großen Gefangenenfriedhof, der sich westlich anschloss. Beide waren durch ein Achsenkreuz von Wegen erschlossen. Deren Lage ist immer noch an dem verschlossenen Eingangstor zum Beamtenfriedhof ablesbar.

Die im Gefängnis gestorbenen Gefangenen wurden, wenn kein Verwandter sie bestatten wollte, auf dem Gefangenenfriedhof beigesetzt. Beide Friedhöfe wurden kurz nach Abriss des Gefängnisses 1958 aufgelassen und auf dem Gefangenenfriedhof Grabelandparzellen angelegt. Warum hatte diser Friedhofsteil nicht den Schutz von 25 Jahren, wie alle anderen aufgelassenen Friedhöfe? Das hängt mit den Rechtsfolgen des § 45 Abs. 1 Strafgesetzbuch zusammen, der in etwa besagt, wer zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wurde, verliert 5 Jahre seine bürgerlichen Rechte, d.h. kann keine öffent­lichen Ämter bekleiden und hat weder passive noch aktive Rechte aus öffentlichen Wahlen. Dass deshalb auch die Ruhefrist auf Gefängnisfriedhöfen nicht gilt, kommt mir jedoch wenig logisch vor.

Wo sich heute die Kleingärten befinden war früher das „Anstaltsgartenland“, das zur Selbstversorgung des Gefängnisses diente. Auch außenherum um die südliche Gefängnismauer lag Gartenland und einige Schmuckhöfe an der Invaliden- und Lehrter Straße. Bis 1995 gab es auch an der Invalidenstraße eine ganze Reihe Kleingärten. 1995 wurden sie für den Neubau der Invalidenstraße und den Abriss der Brücke über das Bahngelände zerstört.

Vom Denkmalschutz profitieren auch die heutigen Kleingärtner, denn es ist kaum vorstellbar, dass sonst eine Anlage in dieser zentralen Lage hätte erhalten werden können. Erst 2002 wurde das vom Bezirksamt verpachtete Gartengeländee eine Dauerkleingartenkolonie. Ausgenommen sind allerdings die fünf Gärten, die an der Stichstraße zu den Häusern Lehrter Straße 6-8 liegen. Die sollen für den Döberitzer Grünzug weichen. Aber endgültig entschieden ist das noch nicht. Bei einer Umfrage des Betroffenenrats Lehrter Straße in 2017 hatte sich eine große Mehrheit für den Erhalt ausgesprochen. 2019 haben die Kleingärtner in einer Wochenendaktion den Beamtenfriedhof gesäubert und einige völlig überwucherte Grabsteine und Grabplatten freigelegt. Die Äste davon sind immer noch nicht komplett abgefahren. Von der Gartendenkmalpflege und dem bezirklichen Gartenbauamt erwarten sie sich mehr Aufmerksamkeit für diesen „vergessenen“ Friedhof.

Quellen:
Wolfgang Schäche: Das Zellengefängnis Moabit. Zur Geschichte einer preußischen Anstalt. Transit Buchverlag, Berlin 1992, ISBN 3-88747-076-1.
Carl Krohne und R. Uber (Hrsg.): Die Strafanstalten und Gefängnisse in Preußen. Berlin, 1901.
Landesdenkmalamt Berlin, Denkmaldatenbank, Zellengefängnis und Beamtenhäuser, Beamtenfriedhof.